4. Beispiele aus der Praxis:
Kriterien für die Begutachtung von Fahrzeuglampen
Die Vorgehensweise bei der Begutachtung von Fahrzeuglampen im Hinblick auf ihren Brennzustand zum Unfallzeitpunkt richtet sich nach dem vorliegenden Spurenbild. Bei der Vielzahl möglicher Kriterien ist eine Klassifizierung hinsichtlich des Untersuchungsvorganges zweckmäßig.
Grundsätzlich sind zwei Fälle unterscheiden:
- Lampen mit unzerstörtem Glaskolben und
- Lampen mit zerstörtem Glaskolben
In den folgenden Abschnitten sollen anhand von Beispielen nach den unterschiedlichen Spurenbildern der Untersuchungsablauf und die Interpretationsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Lampen mit unzerstörtem Glaskolben
Die wichtigste Voraussetzung für Aussagen über den um Unfallzeitpunkt herrschenden Brennzustand von Lampen mit unzerstörtem Glaskolben ist, dass ein starker Stoß in unmittelbarer Nähe der zu untersuchenden Lampe stattgefunden haben muss. Unter der Einwirkung von starken Beschleunigungskräften entstehen an den Wendeln der Glühlampen charakteristische Merkmale, welche Rückschlüsse auf den Brennzustand zum Anstoßzeitpunkt ermöglichen.
Die Wendeln von Fahrzeuglampen bestehen aus gezogenem Wolframdraht mit einem Durchmesser wischen 0,02 und 0,2 mm, abhängig von der Leistung.
Der Schmelzpunkt von Wolfram liegt bei ca. 3400 C, das spezifische Gewicht bei 19,3 kg/dm3.
Im glühenden Zustand treten bei normalen Biluxlampen Wendeltemperaturen von ca. 2500 C, bei Halogenlampen von ca. 2900 C auf. Diese sehr hohen Temperaturen bewirken, dass die Festigkeit des Wendelmaterials stark absinkt. Die Festigkeit des Materials beträgt bei neuwertigem Werkstoff zwischen 2000 und 4000 N/mm2. Sie sinkt in Abhängigkeit von der Glühtemperatur sehr stark ab, bis sie im Schmelzpunkt den Wert 0 erreicht, (Bild 20).
Mit zunehmender Glühdauer tritt innerhalb des Werkstoffgefüges Rekristallisation ein. Die Kristalle vergrößern sich in Abhängigkeit der Glühdauer stark. Dadurch vermindert sich die Festigkeit des Werkstoffes. Außerdem wird die Verformungsfähigkeit im kalten Zustand erheblich herabgesetzt.
Der Rekristallisationsgrad des Werkstoffes ist wiederum abhängig von der Glühdauer und von der Glühtemperatur. Die Temperaturverteilung entlang einer Glühwendel ist auf Bild 21 schematisch dargestellt.
Sie kann bis auf 1/10 oder weniger der ursprünglichen Werte absinken. Gleichzeitig mit dieser Verminderung der Bruchfestigkeit steigt der Versprödungsgrad des Werkstoffs bedingt durch die Grobkornbildung im Gefüge an.
Diese Versprödung bewirkt, dass sich die Wendeln von Lampen höherer Leistung im kalten Zustand nahezu nicht mehr plastisch verformen lassen.
Im heißen Zustand ist die Versprödung dagegen nicht mehr wirksam. Der Wendelwerkstoff verhält sich wieder außerordentlich verformungsfähig.
Die Verformungsfähigkeit einer Wendel beginnt unmittelbar nach dem Einschaltvorgang und endet ca. 2 Sekunden nach dem Abschaltzeitpunkt. Das Temperatur-Zeit-Verhalten einer 12 Volt/45 Watt-Wendel zeigt Bild 23 schematisch.
Wird eine glühende Wendel einer sehr starken Erschütterung ausgesetzt, können durch die auftretenden Beschleunigungen so hohe Kräfte entstehen, dass plastische Verformungen an der heissen Wendel zu beobachten sind. Untersuchungen haben ergeben, dass hierfür Beschleunigungen bzw. Verzögerungen von über 400 g erforderlich sind. Derartige Spitzenverzögerungen werden im allgemeinen nur dann erreicht, wenn ein heftiger Anstoss unmittelbar im Bereich des Scheinwerfers bzw. der zu untersuchenden Lampe erfolgt ist. Um den Brennzustand einer Lampe mit unzerstörtem Glaskolben beurteilen zu können, ist es deshalb notwendig, Kenntnisse über die Stärke des Stosses zu haben, welcher auf die Lampe eingewirkt hat. Die Stärke des Anstosses lässt sich am besten durch die Besichtigung des Fahrzeuges selbst oder über eine Aufnahme vom beschädigten Fahrzeug abschätzen, (Bild 24, 25).
Verformung und Rekristallisationsgrad
Im kalten Zustand verhalten sich gealterte Wolframwendeln aufgrund der beschriebenen Rekristallisationsvorgänge im Werkstoff spröde. Bei starker Stossbeanspruchung bricht die Wendel unverformt an oder in der Nähe der Einspannstelle ab, (Bild 26 a+b).
Bild 26b
Im heissen Zustand und unter der Einwirkung aussergewöhnlich starker Erschütterungen verformen sich Wendeln von Fahrzeuglampen stark plastisch. Es treten Durchbiegungen, Aufziehungen und Windungsverschiebungen auf, (Bild 27, 28, 29).
Bild 27 :
Stark deformierte Glühwendel einer H 4Scheinwerferlampe. Da beide Wendeln plastisch verformt sind, muss kurz vor oder während des Unfallgeschehens eine Umschaltung von Fern- auf Abblendlicht oder umgekehrt erfolgt sein. Möglicherweise wurde auch die Lichthupe betätigt.
Bild 29 :
Ausschnitt aus Bild 27, Fernlichtwendel vergrössert
Oxidationsmerkmale
Lampen besitzen je nach Grösse und Bauart ein Vakuum oder eine Schutzgasatmosphäre. Dadurch wird verhindert, dass die glühende Wendel "verbrennt". Dringt nach einer Beschädigung des Glaskolbens Luftsauerstoff in das Lampeninnere und gelangt an die heiße Metalloberfläche z. B. der Wendel, der Wendelträger oder der Abblendkappe, so bilden sich Metalloxide.
Bild 31 :
Anlauffarben auf der Rückseite der Abblendkappe einer Scheinwerferlampe.
Glasanschmelzungen
Ein weiteres, typisches Merkmal bei zerstörtem Glaskolben sind Glasanschmelzungen an der Wendel, an den Wendelträgern oder der Abblendkappe, (Bild 33). Bei den angeschmolzenen Glasteilchen handelt es sich in der Regel um Glas von Lampenkolben, das bei der Zerstörung an die aufgeheizten Teile im Lampeninneren geschleudert wurde. Der Glaskolben einer Fahrzeuglampe besteht aus Quarzglas, das erst ober halb einer Temperatur von ca. 1100 C soweit flüssig wird, dass Anschmelzungen vorkommen können.
Zum Anschmelzzeitpunkt müssen die Wendel oder andere Teile daher mindestens noch diese Temperatur besessen haben. Bei kleinen Teilchen kann mit dem Lichtmikroskop häufig nicht festgestellt werden, ob es sich um Glas oder um Schmutzteilchen handelt. Auch ist schwer festzustellen, ob die Teilchen tatsächlich angeschmolzen sind oder nur lose an der Oberfläche haften.
In solchen Fällen empfiehlt es sich, das Rasterelektronenmikroskop und die Mikrosonde heranzuziehen Bild 34, 35).
Bild 34 :
Glasteilchen mit einem Durchmesser von teilweise weniger als 10 mm, die an der Oberfläche einer Glühwendel angeschmolzen sind.
Bild 35 :
Lose auf der Oberfläche einer Wendel haftendes Glasteilchen. Die Länge des Teilchens beträgt ca. 6 mm. Das Glas ist nicht geschmolzen.