Im Straßenverkehr nehmen Straßenbahnen eine Sonderstellung ein (wenn in diesem Abschnitt von Straßenbahnen gesprochen wird, so sind auch die modernen Stadtbahnzüge und U-Bahnen gemeint). Dies ist offenkundig, da diese Fahrzeuge schienengebunden (spurgebunden) sind und bei Gefahr nicht, wie andere Fahrzeuge, ausweichen können. Zu der Spurgebundenheit treten weitere charakteristische Merkmale hinzu: hohe Zuggewichte (30 bis 120 Tonnen), Überbreite und Überhang bei der Kurvenfahrt.

Bei Kollisionen mit Schienenfahrzeugen sind im Allgemeinen die Unfallfolgen schwerwiegender, als wenn etwa ein Pkw mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zusammenstößt.

Bei einer Kollision Straßenbahn gegen Pkw wird der Pkw meist zur Seite gestoßen, in seltenen Fällen wird der Pkw mitgeschliffen oder unter die Straßenbahn gedrückt.

Bei der Kollision Straßenbahn gegenFußgänger bzw. gegen Fahrradfahrer erfolgt meist nach dem Anstoß das Niederwerfen der Person mit anschließendem Überrollen.

Bremssysteme der Straßenbahnen:

Moderne Straßenbahnen verfügen über drei (einige auch über vier) der nachgenannten Bremssysteme und Bremshilfseinrichtungen:

1. Hauptbremse:

Hierbei wirken die Antriebsmotoren als Stromerzeuger. Die Wirkung dieser Bremse ist von der Motordrehzahl und dem Kraftschluss zwischen Rad und Schiene abhängig. Sofern Laufachsen (= nichtangetriebene Achsen) vorhanden sind, werden diese durch Scheibenbremsen abgebremst. Neuere Straßenbahnzüge mit gebremsten Laufachsen verfügen außerdem über eine Schlupfregelung (ähnlich dem ABS bei Kraftfahrzeugen), die das Blockieren der Räder verhindern, um die höhere Haftreibung (im Vergleich zur Gleitreibung) ausnutzen zu können, und um das Entstehen von Rad- und Schienenschäden zu vermeiden.

2. Zusatzbremse (Magnetschienenbremse):

Hierbei wird ein als Elektromagnet ausgebildeter Schleifschuh, der sich im Normalfall wenige Millimeter über der Schienenoberfläche befindet, nach Einschalten des Bremsstromes zu einem Magnet, der mit einer Anziehungskraft von 40-55 kN gegen die Schienen gepresst wird.

3. Sandstreueinrichtung:

Zur Erhöhung des Kraftschlusses bei verschmutzten Schienen verfügen alle Straßenbahnen über eine Sandstreueinrichtung. Diese wird bei Gefahrenbremsungen ebenfalls betätigt.

In Gefahrensituationen werden alle Bremssysteme zur Erzielung optimaler Verzögerung möglichst schnell und gleichzeitig eingesetzt. Die hierbei erreichbare Verzögerung liegt bei ca. 2,5 bis 3 m/s2.

Spurzeichnungsverhalten der Bremssysteme:

Obwohl bei Gefahrbremsungen die Sandstreueinrichtung betätigt wird, sind die Sandungsspuren keine geeignete Basis für die Rekonstruktion von Straßenbahnunfällen. Durch Streichen der Fingerkuppe über die Schienenlauffläche lässt sich eine graue Staubschicht feststellen, die durch das Zermahlen des Sandes durch die Räder entsteht und entgegen der Fahrtrichtung der Straßenbahn deutlich abnimmt. Das Ende dieser Sandstaubschicht kann man vermessen und im Unfallbericht mit aufnehmen; Rückschlüsse hieraus sind aber nur bedingt möglich.

Blockierspuren von vollgebremsten Rädern sind erfahrungsgemäß nicht auszumachen, weil nahezu in keinem Fall die Räder blockieren. Schleifspuren der Magnetschienenbremse sind auf der Schienenoberfläche deutlicher erkennbar. Dies gilt auch für den Spurbeginn. Selbst auf nassen Schienen werden die Schleifspuren gezeichnet, sind dann jedoch nicht leicht zu erkennen. Da anhand der Spurlänge der Schleifspuren eine Geschwindigkeitsrückrechnung möglich ist sowie Reaktionsort und -zeit des Straßenbahnfahrers bestimmbar sind, müssen Spurbeginn, Spurlänge und Endstellung der Bahn dokumentiert werden.

Die Schleifspur ist bereits nach einmaliger Überrollung in ihrem Bestand gefährdet; wenige Überrollungen reichen aus, ein Erkennen unmöglich zu machen. Daher muss der Schienenbereich von Kfz -Verkehr und nachfolgenden Straßenbahnzügen bis zum Abschluss der Spurensicherung freigehalten werden. Straßenbahnzüge sollten in einer Entfernung von mindestens 50 Meter von der unfallbeteiligten Bahn anhalten.

Sicherung der Unfallspuren:

Die wirksame Vollbremsstrecke eines Straßenbahnzuges, die bei einer Unfallrekonstruktion rechnerisch zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus der Entfernung zwischen dem Beginn der Schleifspur der Magnetschienenbremse auf den Schienen und dem Ende des letzten Schleifschuhes am Straßenbahnzug. Dieser Wert ist für beide Schienen zu erfassen, bei Längendifferenzen ist die längere der beiden Spuren zu berücksichtigen.

Moderne Triebwagen besitzen bereits einen Fahrtdatenschreiber, der alle wesentlichen Daten wie Geschwindigkeit, Bremswerte,... speichert. Der Speicherchip ist noch am Unfallort vom Fahrdienstleiter der Verkehrsbetriebe zu entnehmen. Eine Datenauswertung erfolgt meistens durch die Verkehrsbetriebe selbst.

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