Charakteristik und unfalltypische Spuren :

Meist wird bei dieser Kollisionsart der auf der Fahrbahn befindliche Fußgänger von einem Fahrzeug mit dessen Frontbereich erfasst. Es kommt hierbei zu mehreren Bewegungsabläufen und dementsprechenden Spurenbildern, die hier im Einzelnen aufgezeigt werden:


Phase 1: der primäre Fahrzeuganprall

In den meisten Fällen wird zunächst der Fußgänger, je nach Körpergröße, Gangart und Fahrzeugtyp unterhalb seines Schwerpunktes (Beine / Becken) getroffen. Der Körper wird in eine rotierende Bewegung versetzt.

Primäre Anstoßstelle am Fahrzeug dürfte allgemein der Frontstoßfänger sein. Dieser erfasst mit hoher Gewalteinwirkung je nach Körpergröße die Unter- oder Oberschenkel des Fußgängers und lässt die Röhrenknochen der Gliedmaße brechen. Diese für Fußgänger-Pkw-Kollisionen typische Bruchform, die von Medizinern "(Biege-)Keilbruch", "Messerer Bruch" oder "Stoßstangenfraktur" genannt wird, tritt praktisch an dem Bein auf, das zum Kollisionszeitpunkt belastet war, also am Standbein des Fußgängers. Durch die Ausbildung der Fraktur kann der Rechtsmediziner eindeutige Rückschlüsse auf die Anstoßkonstellation, Anstoßrichtung und somit Gehrichtung des Fußgängers machen.

Keil-Biege-Bruch am Unterschenkel




Der Primäranstoß hinterlässt, wie auch nachfolgende Anstöße und Berührungen zwischen Fahrzeug und Fußgänger, am Stoßfänger dementsprechende Spuren. Vom bekleideten Bein des Fußgängers sind Wischspuren, Antragungen / Anschmelzungen und Textilmusterabdrücke der Hose erkennbar. Beim unbekleideten Bein wird häufig Hautgewebe vom Fußgänger auf den Stoßfänger übertragen. Korrespondierende Spuren sind an der Bekleidung (Hose) als Schmutzantragungen, Abschmelzpunkte, Abrieb oder Lacksplittereinbettungen erkennbar. Deshalb ist bei Fußgängerunfällen die Sicherstellung der Bekleidung wichtig.




In Einzelfällen kann es hierbei zum Abrieb des Schuhsohlenmaterials auf die Fahrbahn kommen. Entsprechende Riefen und Materialabtragungen sind auf der Sohlenunterseite oder an den Sohlenrändern zu finden. Solche Spuren, die nicht sehr häufig zu finden sind, deuten auf den Kollisionsort hin. Die Schuhsohle, die am intensivsten diese Spuren aufweisen, gehört in der Regel zu dem Schuh, der zum Zeitpunkt der Kollision am stärksten Bodenkontakt hatte, also demnach dem Standbein. Die Seite der Sohle, welche die Riefen und Abtragungen an der Sohlenkante aufweist, war zum Zeitpunkt der Kollision dem Fahrzeug abgewandt. Ursache für diese Spurzeichnung ist, dass sich der Bereich des Beines, der sich unterhalb der Anstoßstelle befindet, durch die Reibungshaftung zwischen Schuhsohle und Fahrbahnbelag zunächst nicht beschleunigt wird und unter die Stoßstange gedrückt wird, während der Körperbereich zwischen Anstoßstelle und Schwerpunkt durch die Fahrzeugbewegung nach vom in Fahrtrichtung beschleunigt wird. Kurz darauf wird auch der Fuß und der Unterschenkel beschleunigt, die Haftung reißt ab und die Schuhsohle reibt über die Fahrbahnoberfläche, wobei der Schuh sich von der Fahrzeug zugewandten Seite abhebt und in Fahrtrichtung umklappt. Teilweise löst sich der Schuh vom Fuß, fliegt weg und kommt weit von der Kollisionsstelle entfernt zur Endlage.

Fotos mit Schuhsohlenradierspuren und dementsprechendem Schuhsohlenabrieb





Phase 2 - 5: die sekundäre Anprall-/Aufladephase:

Das weitere Kollisionsgeschehen wird nun hauptsächlich durch Körpergröße, Gewicht, Körperhaltung, Stellung zum Fahrzeug, die Eigengeschwindigkeit bzw. Drehbewegung beim Erkennen der Kollisionsgefahr seitens des Fußgängers und Fahrzeugform bestimmt.

Unmittelbar nach dem Anprall der Stoßstange gegen die Beine des Fußgängers folgt bei pontonförmigen Fahrzeugfronten der Kontakt zwischen der Haubenvorderkante mit dem Oberschenkelbereich / Beckenbereich des Fußgängers. Bei keilförmigen Fahrzeugen und Fahrzeugen in Kastenform entfällt in der Regel dieser Kontakt.

Zu diesem Zeitpunkt wird die Aufladephase (auch Aufschöpfphase genannt) eingeleitet, das heißt der Fußgänger wird etwa auf die Geschwindigkeit des Fahrzeuges beschleunigt, der Oberkörper rotiert um den Körperschwerpunkt herum in Richtung Fahrzeug und bewegt sich über den Fahrzeugvorbau in Richtung Frontscheibe; der Fußgänger wird vom Fahrzeug aufgeladen.

Bei Fahrzeugen in Kastenform findet dieser Aufladevorgang nicht statt, der Körper prallt fast zeitgleich mit seiner gesamten Länge gegen die stabile und verformungssteife Fahrzeugfront. Eine Rotation des Körpers und allmähliche Angleichung des Fußgängers an die Geschwindigkeit des Fahrzeuges findet nicht statt. Der Fußgänger wird durch diesen zentralen Stoß in horizontaler Richtung abgeworfen.

Bei keilförmigen Fahrzeugfronten führt der Fußgänger aufgrund eines größeren Hebelarmes eine stärkere Rotationsbewegung aus und kann somit weiter Richtung Frontscheibe bzw. Dach geschleudert werden.

Erfolgt die Kollision mit einer Geschwindigkeit über 80 bis 100 km/h des Fahrzeuges, so prallt der Fußgänger oftmals in die Frontscheibe und in das Dach. Im weiteren Verlauf wird dieser nicht nach vorn in Fahrtrichtung des Pkw abgeworfen, sondern rutscht über das Fahrzeug hinweg und kommt hinter dem Fahrzeug zur Endlage. Dementsprechend dürften neben der eingedrückten Frontscheibe großflächige Eindellungen im Dach zu finden sein.

Durch diesen Aufladevorgang entstehen Deformationsspuren am Fahrzeug, deren Erkennen und Deuten eine sehr wichtige Rolle für die Unfallrekonstruktion darstellen. Der Anstoß des Oberschenkels gegen die Haubenvorderkante und der Aufprall des Hüft- / Beckenbereiches und auf die Motorhaube und der Kontakt des Kopfes gegen die Windschutzscheibe bzw. der Dachkante hinterlassen in der Regel eindeutige Eindellungen und Beulen, durch deren Lage am Fahrzeug unter Berücksichtigung der Körperlänge sich Hinweise auf die Geh- und Anfahrrichtung und die Kollisionsgeschwindigkeit ergeben. Hierbei spielen die Begriffe Aufwurfweite und Beulenversatz eine wichtige Rolle, die nachfolgend erklärt werden:


Aufwurfweite:

ist der Abstand zwischen dem vordersten Punkt des Fahrzeuges im Anstoßbereich (Erstkontaktstelle, meist die Frontstoßstange) und der Mitte der davon am weitesten entfernten Kontaktstelle (meist die Kopfkontaktstelle). Als Faustregel kann bei pontonförmiger Fahrzeugfront davon ausgegangen werden, dass der Kopf eines ca. 1,70 Meter großen Fußgängers die hintere Haubenkante bei Kollisionsgeschwindigkeiten zwischen 30 bis 40 km/h berühren kann. Die Frontscheibe wird erreicht bei Anstoßgeschwindigkeiten zwischen 40 bis 50 km/h.

Bei mehr keilförmiger Fahrzeugfront kann die Frontscheibe schon bei Geschwindigkeiten von ca. 40 km/h zerstört werden.

Eine Kopfdelle an der vorderen Dachkante kann bei Geschwindigkeiten zwischen 50 und 60 km/h eintreten.


Durch die Kollision mit der Frontscheibe und insbesondere mit der massiven Dachkante bzw.. den seitlichen A-Holmen können beim Fußgänger massive Schädelverletzungen entstehen. Auch im relativ ungeschützten Gesichtsfeld mit Augenhöhle, Nasen- und Kiefernbereich treten schwerste Verletzungsmuster auf. Je nach Wucht kommen Frakturen in den Knochenstrukturen des Kopfes und des Gesichtes hinzu

Entscheidend für den Grad der Verletzung ist u.a. die Kollisionsgeschwindigkeit und die Aufprallkonstellation des Fußgängers zum Fahrzeug bzw. nach dem Abwurf zu der Fahrbahn.

Vermessen wird die Aufwurfweite mit zwei Messlatten, indem parallel zur Fahrbahnebene der horizontale Abstand zwischen Fahrzeugfront (Frontstoßfänger) und die Mitte der von der Fahrzeugfront am weitesten entfernten Kontaktstelle (meistens gesplitterte Frontscheibe vom Kopfeinschlag des Fußgängers) gemessen wird.

Grafische Darstellung der Aufwurfweite



Abwickellänge:


ist die Länge zwischen der Fahrbahn und der Kopfaufprallstelle entlang der Fahrzeugkontur. Ermittelt wird die so genannte Abwicklung des Fußgängers unter Verwendung eines Bandmaßes. Das Bandmaß wird dann von der Fahrbahn über die Kontaktstellen entlang der Fahrzeugkontur bis zur Mitte der Kopfanprallstelle geführt.

Grafische Darstellung der Abwickellänge


Beulenversatz:

ist der seitliche Abstand zwischen der Erstkontaktstelle an dem Pkw und der sogenannten Kopfanprallstelle, gemessen quer zur Fahrzeuglängsachse. In der Regel bilden sich typische Anstoßstellen aus, die vom Bein-, Hüft- bzw. Beckenkontakt oder Kopf-Schulteranprall an der Fahrzeugfront bzw. dem Fahrzeugaufbau (Motorhaube, Frontscheibe, Dach) ausgelöst werden. Dokumentiert wird der Beulenversatz durch Auflegen eines Geozollstocks auf die Motorhaube, wobei sich der Nullpunkt des Zollstocks an der äußersten Kante der Fahrzeugseite befinden sollte, von wo der Fußgänger sich dem Fahrzeug genähert hatte.

Die Eigenbewegung des Fußgängers bewirkt nun durch die Addition der Geschwindigkeitsrichtungen des Fußgängers und des Fahrzeuges eine Anordnung der Kontaktspuren schräg zur Fahrzeuglängsachse. Der Reihe nach können Unterschenkel, Becken, Schulter und Kopf gegen das Fahrzeug prallen. Deshalb liegt der Kopfanprall am Fahrzeug am weitesten in der Bewegungsrichtung des Fußgängers. Je höher die Bewegungsgeschwindigkeit des Fußgängers und je geringer die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeuges ist, desto ausgeprägter tritt der Beulenversatz ein.

Bei einem Beulenversatz von mehr als 15 cm ist die Bewegungsrichtung des Fußgängers eindeutig aus dem Schadensbild des Pkw abzuleiten.

Bei einer Fahrgeschwindigkeit des Pkw zum Kollisionszeitpunkt von mehr als 40 km/h ist u. U. ein Beulenversatz des Fußgängers nur dann ausgeprägt festzustellen, wenn der Fußgänger "gerannt" ist. In solchen Fällen ist der Schluss nicht zulässig, der Fußgänger habe auf der Fahrbahn gestanden oder betont langsam gegangen, weil kein Beulenversatz erkennbar sei.

Weiterhin ist es ebenso möglich, dass bei bestimmter Beinstellung der Fußgänger in eine Drehbewegung versetzt wird, so dass auch bei einem stehenden oder langsam gehenden Fußgänger durch den Anprall der vom Körper abstehenden Hände oder Arme ein Beulenversatz entsteht, der fälschlicherweise im Sinne einer bestimmten Bewegungsrichtung interpretiert werden könnte.

Zur Bestimmung der Bewegungsrichtung eines unfallbeteiligten Fußgängers vor der Kollision können ggf. weitere Spuren dienen:

Das Verletzungsbild des Fußgängers kann hierzu Aufschlüsse geben. Die im Verlauf des Erstkontaktes zwischen der Pkw-Stoßstange und dem Unterschenkel des Fußgängers auftretende Stoßkraft kann zur Entstehung eines sogenannten Biegekeilbruches (siehe hier) führen. Die Auswertung realer Fußgängerkollisionen, bei denen die Bewegungsrichtung des Fußgängers bekannt war, zeigte, dass bei Ausbildung eines Biegungskeils an einem gebrochenen Unterschenkel auf die Stoßrichtung geschlossen werden kann.

Unzulässig ist dagegen die Annahme, dass ein gebrochenes Bein grundsätzlich im Kollisionszeitpunkt der Fahrzeugstoßzone zugewandt war. Innerhalb des Bewegungsvorganges wechselt der Fußgänger vom Standbein auf das so genannte Spielbein. Während das Standbein innerhalb der Bewegung momentan das gesamte

Fußgängergewicht gegen den Untergrund abstützt, ist das so genannte Spielbein pedelähnlich beweglich und kann somit einer aufgezwungenen Stoßrichtung folgen. Ob innerhalb eines Anstoßvorganges eine Knochenfraktur auftritt, hängt u. a. davon ab, ob das Bein zum Kollisionszeitpunkt belastet oder nicht belastet war.

Charakteristische Beschädigungsspuren sowie Einbettungen oder Anlagerungen von Glassplittern oder Lackteilchen an der Oberbekleidung des Fußgängers oder der Lage und dem Verlauf von Abriebspuren an der Oberbekleidung oder den Schuhen usw. können zusätzliche Informationen zur Bewegungsrichtung des Fußgängers geben. Aus diesem Grund sind die Oberbekleidung und die Schuhe des Fußgängers sicherzustellen.





Phase 6: der Abwurf:

Der weitere Verlauf im Unfallgeschehen richtet sich nun nach dem Verhalten des Kraftfahrzeuges:

- bei ungebremster Weiterfahrt oder bei sehr hohen Anprallgeschwindigkeiten (größer als 80 km/h) fliegt oder rutscht der aufgenommene Fußgänger nach hinten über das Fahrzeug hinweg;

- bei spontan abgebremsten Fahrzeugen löst sich der durch den Anstoß beschleunigte Fußgänger vom Fahrzeug, rutscht nach vorn vom Fahrzeugvorbau und trifft nach einer Flugphase auf die Fahrbahn auf (der so genannte Abwurf).

Die Entfernung zwischen der Kollisionsstelle und der ersten Kontaktstelle des Fußgängers mit der Fahrbahn bezeichnet man als Abwurfweite. Die Kontaktstelle ist nicht leicht auszumachen, meist deuten Haar- oder Gewebeantragungen auf der Fahrbahn, beginnende Schleifspuren (textile Materialantragungen auf der Fahrbahn) oder Kratzspuren (durch harte Gegenstände an der Kleidung des Fußgängers, wie z.B. Gürtelschnalle, Nieten o. ä.) auf diese Kontaktstelle hin.





Phase 7 - 8: die Rutsch- oder Rollphase:

Nach dem Auftreffen auf die Fahrbahn rutscht der Fußgänger je nach Kollisionsgeschwindigkeit eine gewisse Wegstrecke auf der Fahrbahn bis zur Endposition bzw. rollt auf der Fahrbahn bis zum Bewegungsstillstand ab.

Erkennbar ist die Rutschstrecke durch Schleifspuren, Kratzspuren oder auch biologische Spuren. Die Endlage des Fußgängers wird eventuell durch eine Blutlache markiert. Vom Fußgänger mitgeführte Gegenstände kommen ebenfalls nach einer Flugphase zur Endlage und hinterlassen eventuell solche Spuren. Mitgeführte Flüssigkeitsbehälter (Getränketüten, Flaschen, usw.) platzen meist an der Aufschlagstelle auf und die Flüssigkeit breitet sich birnen- oder trichterförmig aus.

Die Entfernung von der ersten Kontaktstelle des Fußgängers mit der Fahrbahn und der Endlage ist die Rutschweite.

Die Strecke zwischen Kollisionsstelle und Endposition des Fußgängers, also Abwurfweite und Rutschweite zusammen, ergibt die Wurfweite. In seltenen Fällen kommt es zum Überrollen des auf der Fahrbahn liegenden Fußgängers.


Datenpaket:

Datenpaket:

alle Datenblätter und Checklisten für Pkw-Fußgänger-VU als Download-Paket (zip)

Checklisten und Datenblätter zur Aufnahme von Pkw-Fußgänger-Kollisionen gibt es hier im Download-Bereich zum Herunterladen.


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